Wider die Vereinzelung: Fünf innovative, ästhetisch und inhaltlich anspruchsvolle Arbeiten thematisierten das Stückemarkt-Motto auf je verschiedene Weise und haben so die Jury überzeugt. Insgesamt errecihten uns 361 Einsendungen aus 63 Ländern.
Da der Stückemarkt 2020 nicht stattfinden konnte, wurde entschieden, die Einladung an die bereits ausgewählten Künstler*innen 2021 erneut auszusprechen.
„Aalaapi“ beschäftigt sich mit einer marginalisierten Gruppe, die kaum eine Stimme bekommt: den Inuit. Mit großem Geschick entwirft Laurence Dauphinais gemeinsam mit der Radio-Künstlerin Marie-Laurence Rancourt und den beiden Performerinnen Nancy Saunders und Ulivia Uviluk eine leise und poetische Arbeit – und erzählt anhand von dokumentarischem Material die Geschichte von indigenen Künstler*innen, die zwischen verschiedenen Lebensrealitäten pendeln: von der kanadischen Großstadt bis hinter den Polarkreis. „Aalaapi“ lädt das Publikum dazu ein, die Erfahrung einer offenen Begegnung mit dem Unbekannten zu machen und weist damit über jede reale oder erdachte Grenze hinaus.
Laurence Dauphinais
© Anne-Marie Baribeau
In „Coop (deutsch: Zaun)“ entwirft Sam Max die Geschichte eines Mädchens, das auf einer Farm gefangen in ritualisierten Handlungen und in Abschottung von der Außenwelt lebt. Die Vereinnahmung durch die Eltern, der strenge Takt des Alltags und die extreme Enge und Einsamkeit haben einen mörderischen Pakt zur Folge, der die Protagonistin aus ihrem Gefängnis befreit. „Coop“ stellt Fragen nach einem möglichen Zusammenleben, nach dem Verfall der Werte und dem Preis der Emanzipation in einem Amerika, in dem Isolation bereits vor der Pandemie längst Wirklichkeit geworden ist.
Sam Max
© Anton Novoselov
In ritualisierter, musikalischer und collagierter Form manifestieren Nia Farrell und Talia Paulette Oliveras in „Dreams in Blk Major“ eine „celebration in five movements“. Ausgehend von dem Raum als Ort von Zeug*innenschaft setzen sie sich mit der BPoC-Bewegung in den USA als afrofuturistischer Bewegung auseinander. Dabei öffnet der Text einen solidarischen Diskursraum, der Klassismus und Rassismus radikal befragt.
Ta-Nia (Talia Paulette Oliveras & Nia Farrell)
© Bianca Rogoff
Verfasst als Autofiktionsstück, erzählt Eve Leighs „Midnight Movie“ von einer jungen Frau, die unter chronischen Schmerzen leidet. Ihre schlaflosen Nächte verbringt sie einsam im Internet, wo sie versucht, der Realität Tab für Tab und Story für Story zu entfliehen. Dabei verknüpft die Autorin geschickt Beschreibungen des eigenen Zustands mit Geschichten aus verschiedenen Internetforen. „Midnight Movie“ ist ein Text, der mit großer Sensibilität und Poesie auch die Menschen erreicht, deren physische Abwesenheit im Theater meist nicht hinterfragt wird.
Eve Leigh
© Anna Strickland
Jude Christian arbeitet sich in der biografischen Solo-Performance „Nanjing“ an den Ursprüngen der eigenen Herkunft und Identität ab. Sie kreiert einen konzentrierten Abend, der über die Lücken der europäischen Geschichtsschreibung und des kollektiven Gedächtnisses nachdenkt, gegen das Vergessen angeht und fragt: Wofür ist die*der Einzelne bereit zu sterben? „Nanjing“ ist ein persönliches Plädoyer für den Widerstand und die Aufforderung, eine gemeinsame Geschichte zu schreiben.
Jude Christian
© Manuel Harlan