Ein dunkelblaues Plakat mit dem gelben Schriftzug „Theatertreffen“ vor dem Haus der Berliner Festspiele

© Berliner Festspiele, Foto: Fabian Schellhorn

Das Theatertreffen

Jedes Jahr wählt eine Kritiker*innenjury selbstständig aus bis zu 600 Produktionen aus dem deutschsprachigen Raum die 10 bemerkenswertesten Inszenierungen aus, die im Mai in Berlin gezeigt werden. Im weiteren Festivalprogramm werden ästhetische, gesellschaftliche und kulturpolitische Fragen mit und vor Publikum diskutiert. 

Beim Internationalen Forum kommen Künstler*innen theaternaher Disziplinen von allen Kontinenten in Berlin zusammen, um Theater gemeinsam (neu) zu denken und Verbindungen zu knüpfen. Kritisch begleitet und reflektiert wird das Festival von aufstrebenden Kulturjournalist*innen des Theatertreffen-Blog. Im Rahmen von Open Campus ist das Theatertreffen Vernetzungs- und Begegnungsort für Studierende und Berliner Schüler*innen. Zudem versammelt das Forum Ökologische Nachhaltigkeit im Theater seit 2021 Vertreter*innen der eingeladenen Häuser regelmäßig zum Austausch über nachhaltige Kulturproduktion. Außerdem werden im Rahmen des Festivals traditionell mehrere Preise verliehen: der Theaterpreis Berlin, der Alfred-Kerr-Darstellerpreis und der 3sat-Preis.

Geschichte des Theatertreffens

Bereits 1963, ein Jahr vor dem ersten Theatertreffen in Berlin, luden die Berliner Festwochen fünf Gastspiele deutscher Bühnen ein – eine Art Pilotprojekt. 1964 fand das erste Theatertreffen unter der Bezeichnung „Berliner Theaterwettbewerb“ statt, allerdings noch im Oktober während der 14. Berliner Festwochen, wobei die Grundstruktur bis heute Bestand hat: Zehn bemerkenswerte Inszenierungen werden von einer Jury aus Theaterkritiker*innen ausgewählt und nach Berlin eingeladen.

In der Gründungserklärung (1964) heißt es: „Mit dem Berliner Theaterwettbewerb soll der Versuch gemacht werden, durch eine Auswahl von Schauspielinszenierungen aus der Bundesrepublik Deutschland, aus Österreich und der Schweiz nicht nur ein Bild vom Stand des deutschsprachigen Theaters zu geben, sondern auch die wegen der Isolierung der einzelnen Theaterstädte so notwendige Möglichkeit des Vergleichs zu schaffen. Ein Gremium aus deutschen, österreichischen und Schweizer Kritikern hat hierzu diejenigen Aufführungen aus der Spielzeit 1963/64 ausgewählt, die ihm besonders bemerkenswert erschienen. Die jährlichen Konfrontierungen können vielleicht aus dem kontaktlosen Nebeneinander ein Miteinander machen, lassen vielleicht wieder Maßstäbe finden, wie sie einst von dem Theaterzentrum Berlin gesetzt wurden.“

Der bekannte Begriff „Schaufenster des Westens“ bezog sich zunächst auf die gesamten Berliner Festwochen. 1961, nach dem Bau der Mauer, steigerte sich jedoch seine Brisanz und ab 1964 bezog er sich vor allem auf das Theatertreffen. Zwar gehörte es nicht zu den ersten Begründungen für die Notwendigkeit des Theatertreffens, ein „Schaufenster des Westens“ zu sein, jedoch wurde der Slogan vor allem im Kalten Krieg gerne als Argumentationshilfe in Anspruch genommen. Wiederholte Einladungen an ostdeutsche Bühnen mussten lange Zeit symbolischer Natur bleiben.

Im Gründungsjahr war Nicolas Nabokov Leiter des Theatertreffens.

Ab 1965 firmierte das Theatertreffen unter der Bezeichnung „Treffen“ und wurde zudem in den Mai verlegt, um eine Einbeziehung von Produktionen der bereits laufenden Spielzeit leichter möglich zu machen. Zudem erfolgte eine Abkopplung von den übrigen Veranstaltungen der Berliner Festwochen. 1966 tauchte dann erstmalig die heutige Bezeichnung „Theatertreffen“ auf. 1967 gründete sich die Berliner Festspiele GmbH als Trägergesellschaft für das Theatertreffen.

Gerhard Hellwig hatte die Leitung des Theatertreffens von 1965 bis 1968 inne.

1965 entstand das Internationale Forum des Theatertreffens (bis 1973 unter der Bezeichnung „Begegnung junger Bühnenangehöriger“, bis 2005 unter dem Titel „Internationales Forum junger Bühnenangehöriger“). Damit ist es die älteste kontinuierlich arbeitende Einrichtung seiner Art. War es zunächst nur eine Informations- und Diskussionsveranstaltung für junge professionelle Theatermacher*innen aus der Bundesrepublik Deutschland (die DDR beteiligte sich hier nicht), konnte der Teilnehmer*innenkreis 1970 nach Vereinbarungen mit Institutionen in Österreich und der Schweiz auf diese beiden Länder erweitert werden.

In den 1960er- und 1970er-Jahren spielte das Theatertreffen eine wichtige Rolle bei der Etablierung neuer Regie-Generationen im Theaterbetrieb. So erhielten Peter Zadek (21), Claus Peymann (19) und Peter Stein (18) bis heute die meisten Einladungen zum Theatertreffen.

Walther Schmiedling leitete das Theatertreffen von 1969 bis 1972, Ulrich Eckhardt von 1973 bis 1981.

1978 wurde der Stückemarkt des Theatertreffens als erste Förderinitiative für Neue Dramatik im deutschsprachigen Raum gegründet. Vorher gab es keine solche Autor*innenförderung, keine Plattform für noch nicht aufgeführte Stücke und schon gar keine Schreibschulen für angehende Dramatiker*innen. In den ersten zwanzig Jahren des Festivals wählte die Stückmarkt-Leitung aus den zur Uraufführung freien Stücken jährlich fünf aus, um sie einem breiteren Publikum im Rahmen des Theatertreffens vorzustellen. Eine Jury gab es noch nicht – der*die Stückemarktleiter*in war allein für das Programm verantwortlich.

1980 begann die Kooperation zwischen dem Internationalen Forum und dem Goethe-Institut, wodurch sich das Internationale Forum für die ganze Welt öffnete. Gleichzeitig verlagerte sich der Schwerpunkt des Forums auf die praktische Arbeit; nach einer Phase des Experimentierens seit 1975 wurden 1980 Workshops zum integralen Bestandteil des Forum-Programms.

1982 bis 1988 wurde das Theatertreffen von Ulrich Eckhardt und Börries von Liebermann geleitet. Von 1989 bis 2001 war Torsten Maß Leiter des Theatertreffens.

Im Mai 1989, wenige Monate vor dem Fall der Berliner Mauer, durften schließlich Theater aus dem sozialistischen Teil des Landes zum Festival reisen. Nach dem Fall der Mauer rückte die ursprüngliche Begründung der Gründungserklärung wieder in den Vordergrund, nämlich „ein Bild vom Stand des deutschsprachigen Theaters zu geben“, statt aufgrund der isolierten Lage West-Berlins ein „Schaufenster des Westens“ zu sein.

Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 hat die „Leistungsschau“ nichts von ihrer Relevanz verloren. Vielmehr entwickelte sich das Festival durch die vielen internationalen Kurator*innen, Künstler*innen, Intendant*innen und Journalist*innen, die die Aufführungen besuchten, zu einem Schaufenster des deutschsprachigen Theaters für die Welt.

So öffnete sich der Stückemarkt 2003 für Autor*innen aus ganz Europa, die in Originalsprache Theatertexte einreichen konnten. Aus der Präsentation neuer Dramen für Theaterleute wurde ein Wettbewerb für noch unbekannte Autor*innen. Eine Fach-Jury sichtete in der Folge Hunderte von Stücken, von denen bis 2022 während des Theatertreffens zwischen fünf und sieben in Szenischen Lesungen präsentiert wurden.

Von 2003 bis 2011 leitete Iris Laufenberg das Theatertreffen, nachdem 2002 Dieter Hansen die Leitung übernommen hatte.

2005 wurde die Festivalzeitung ins Leben gerufen, die bis 2008 in Zusammenarbeit mit der Berliner Zeitung entstand und das Theatertreffen kritisch begleitete. 2009 erfolgte dann der Umzug ins Internet und aus der Festivalzeitung entstand das Theatertreffen-Blog. Außerdem führte die Ausweitung der Ausschreibung auf nicht nur deutsch-, sondern auch englischsprachige Teilnehmer*innen zu einer Internationalisierung der Debatten.

Yvonne Büdenhölzer leitete das Theatertreffen von 2012 bis 2022.

2012 erweiterte der Stückemarkt seinen Autor*innenbegriff: Erstmals wurden Projektarbeiten von Theaterkollektiven für den Wettbewerb zugelassen.

Ebenfalls 2012 wurde der Open Campus als Begegnungs- und Vernetzungsort für die Theatermacher*innen von morgen ins Leben gerufen. In diesem Format besuchen die angehenden Schauspieler*innen, Regisseur*innen, Dramaturg*innen, Szenograf*innen und Theaterwissenschaftler*innen von Universitäten, Kunsthochschulen und Theaterinstituten aus dem deutschsprachigen Raum die Aufführungen und das Diskursprogramm des Theatertreffens. Durch Workshops sowie Gespräche mit Künstler*innen und dem Festivalteam kommen Studierende in eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Ästhetiken und Arbeitsweisen.

2014 wurde die Reihe „Focus“ beim Theatertreffen etabliert und setzte damit künstlerische und diskursive Schwerpunkte innerhalb des Festivalprogramms. Bis 2016 entstanden: Focus Dimiter Gotscheff, Focus Fassbinder und Focus Skulptur, Performance, Schauspiel. In den Jahren 2014 bis 2016 war im Rahmen des Programms „Be my Guest“ in Kooperation mit dem Goethe-Institut je ein*e Theaterfestivalkurator*in eingeladen, das Theatertreffen zu begleiten und zu reflektieren. Zum Ende des Theatertreffens sprach er*sie einer der ausgewählten Produktionen eine Einladung zum eigenen Festival aus.

Seit 2015 wird das Internationale Forum verstärkt für globalgesellschaftliche Entwicklungsdynamiken geöffnet, um Theater als Raum politischer Öffentlichkeit zu befragen. Seitdem richten die Workshops und Diskursveranstaltungen in diesem Bereich ihr Augenmerk auf Theater im Spannungsfeld von Kunst, Politik und Gesellschaft. 2015 präsentierte Marcus Gaab erstmals sein Projekt One on One on One, das er bis 2019 fortführte.

Von 2016 bis 2022 vergab der Stückemarkt gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb einen Werkauftrag. Ebenfalls 2016 wurden erstmals ausgewählte Theatertreffen-Inszenierungen auf Einladung von Wu Promotion in Kooperation mit dem Goethe-Institut China und mit Unterstützung der Berliner Festspiele, des Auswärtigen Amts, der Kulturbehörde Hamburg und Volkswagen Group China beim Theatertreffen in China gezeigt.

2017 wurde die internationale Plattform des Theatertreffens Shifting Perspectives von Yvonne Büdenhölzer und Daniel Richter ins Leben gerufen, die über die zehn bemerkenswerten Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum hinaus außereuropäische Perspektiven in das Festival holte und ein breiteres Spektrum an aktuellen gesellschaftlichen Themen, ästhetischen Positionen und wegweisenden Tendenzen widerspiegelte.

2018 fand erstmals, initiiert von Yvonne Büdenhölzer und Daniel Richter, das übergreifende Diskurs-Programm TT Kontext statt, das die etablierten künstlerischen Programmsäulen des Theatertreffens bis 2022 begleitete. Es eröffnete einen diskursiven Zugang zu seinen künstlerischen Beiträgen, indem es soziale, politische und ökonomische Kontexte und Hintergründe herstellte und die Werke als Anlass nahm, auch darüber hinausgehende Fragen für unser Zusammenleben hier und heute zu stellen. Das Format war eine Weiterentwicklung des Formats „Camp“, das zuvor die Diskursveranstaltungen des Theatertreffens bündelte. Außerdem öffnete sich in diesem Jahr der Open Campus, der von 2013 bis 2022 unter der Leitung von Anneke Wiesner stattfand, auch für Berliner Schüler*innen in Kooperation mit der LiteraturInitiative Berlin (LIN). Im Jahr 2018 übernahm Daniel Richter in Elternzeitvertretung die Leitung des Theatertreffens.

2019 fand im Rahmen des Theatertreffens die Konferenz zu Gender(un)gleichheit „Burning Issues meets Theatertreffen“ statt. 2018 von Lisa Jopt und Nicola Bramkamp initiiert, bekam die Konferenz im Festival einen besonderen Fokus und wurde hier gemeinsam mit den Gründerinnen von Yvonne Büdenhölzer, Daniel Richter und Maria Nübling gestaltet.

Mit der Festivalausgabe 2020 führte Yvonne Büdenhölzer eine Frauenquote von mindestens 50 % in der Regieposition der 10er Auswahl ein. Aufgrund der Einschränkungen im Zusammenhang mit der weltweiten Corona-Pandemie fand das Theatertreffen virtuell als Special Edition statt und präsentierte Mitschnitte der 10er Auswahl, Publikumsgespräche und Diskussionen auf der Online-Plattform Berliner Festspiele on Demand. Das Format „Unboxing Stages“, eine Kooperation mit der Akademie für Theater und Digitalität und der Digitalen Dramaturgie, eröffnete in Paneldiskussionen das Gespräch zwischen Netz-Theater-Akteur*innen, Theatermacher*innen, Künstler*innen der 10er Auswahl, IT-Expert*innen, Techniker*innen und Wissenschaftler*innen.

2021 fand das Theatertreffen aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie erneut rein digital statt. Für die Präsentation der 10er Auswahl, des Stückemarkts, der Schwerpunkte „Stages Unboxed“ und „Focus Living Theatre“ sowie die Veranstaltungen von TT Kontext wurde die Plattform „Berliner Festspiele Digital“ entwickelt, die auch einen virtuellen Festspielgarten und zwei digitalisierte Bühnenbilder beinhaltete. In Zusammenarbeit mit dem Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien und initiiert von Jacob Sylvester Bilabel, Yvonne Büdenhölzer und Katharina Fritzsche fand erstmalig das Pilotprojekt „Forum Ökologische Nachhaltigkeit im Theater“ statt. Vertreter*innen der für die 10er Auswahl des Festivals nominierten Theater und Produktionshäuser kommen seither jährlich als Green Ambassadors zusammen und entwickeln Strategien für eine ökologisch nachhaltige Kulturproduktion.

Mit der Festivalausgabe 2022 kehrte das Theatertreffen zurück ins Haus der Berliner Festspiele und fand wieder in Präsenz statt. Livestreams ausgewählter Veranstaltungen waren in der neuen Mediathek der Berliner Festspiele abrufbar. Erstmal wurde dem Thema Nachhaltigkeit im Theater ein eigener Programmschwerpunkt im Festival gewidmet. Außerdem fand zum zweiten Mal die Kooperation zwischen Theatertreffen und Burning Issues statt, die 2022 unter dem Übertitel „Performing Arts & Equity“ in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste und dem ITI – Internationales Theaterinstitut Zentrum Deutschland abgehalten wurde.

2023 übernahmen Olena Apchel, Marta Hewelt (bis 31. März 2023), Carolin Hochleichter und Joanna Nuckowska die Leitung des Theatertreffens. Mit dem neuen Format 10 Treffen – zehn unterschiedlichen, transdisziplinären Begegnungsformaten, die während des gesamten Festivals in unterschiedlichen Formen stattfanden und sowohl neue Veranstaltungen als auch bereits bestehende Programmsäulen des Festivals beinhalteten – wurde der Aspekt des „Treffens“ auf europäischer Ebene herausgearbeitet.

Seit 1. Januar 2024 ist Nora Hertlein-Hull die Leiterin des Theatertreffens. In ihrer ersten Festivalausgabe wurden die 10 bemerkenswerten Inszenierungen von neu aufgestellten Nachtgesprächen mit Publikum begleitet. Zudem wurden bewährte Plattformen und Formate durch engere Vernetzung untereinander sowie durch die inhaltliche Anbindung an die 10er-Auswahl gestärkt.