Konzert
Andris Nelsons, Leitung
Schostakowitsch | Gubaidulina | Beethoven
Sofia Gubaidulina während einer Ausstellung in Berlin, 1986 © Jürgen Köchel, Sikorski Musikverlage
„Muss es sein?“ – „Nein, es muss nicht sein.“ Im widerständigen Spiel mit einem berühmten Beethoven-Zitat hat Sofia Gubaidulina mit „Der Zorn Gottes“ ein Werk geschaffen, das dem Gewaltpotenzial des Menschen einen spirituell grundierten Humanismus entgegensetzt. Andris Nelsons und das Gewandhausorchester Leipzig bringen die Deutsche Erstaufführung zu Gehör, gemeinsam mit Werken von Ludwig van Beethoven und Dmitri Schostakowitsch.
„Im tiefsten Sinne“, sagt Sofia Gubaidulina, „dient Musik Gott.“ Kein Wunder, dass die meisten Werktitel der zutiefst spirituell geprägten Komponistin religiöse Assoziationsräume öffnen. Das betrifft auch das 2020 mitten im Lockdown in einem „Geisterkonzert“ ohne Publikum uraufgeführte Orchesterstück „Der Zorn Gottes“: Musik „zwischen Tränen und Gänsehaut“ (Die Presse). Das gewaltig besetzte Tonpoem beginnt mit einem mächtigen Blechbläser-Thema und entlädt seine Spannungen in drei großen Steigerungswellen, die nur episodenhaft mit verhallenden Glockenklängen und irisierendem Streicherflirren aufgehellt werden: „Gott ist zornig […]. Wir haben Schuld auf uns geladen“, so die Komponistin, die u. a. mit dem Russischen Staatspreis und dem weltweit höchstdotierten Kunstpreis überhaupt, dem japanischen „Praemium Imperiale“ geehrt wurde. Gut hörbar in der tönenden Brandrede ist ein Beethoven-Zitat – genauer: das charakteristische Frage- und Antwortmotiv aus dem Streichquartett op. 135. Beethoven hat es selbst mit den Worten „Muss es sein? Es muss sein!“ unterlegt, was Gubaidulina umdeutete: „Es muss nicht sein – dieser Anstieg des Hasses unter den Menschen“. Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons hat den „Zorn Gottes“ als erster auf Tonträger eingespielt: „Es begeistert mich immer wieder, wie Sofia Gubaidulina in ihren Werken Intellekt, Spiritualität und Sinnlichkeit miteinander vereint. Ihre Musik geht direkt unter die Haut.“ Bei seinem Gastspiel in Berlin stellt er gemeinsam mit dem Leipziger Gewandhausorchester Gubaidulinas Musik Beethovens lichtdurchfluteter Siebenter Symphonie gegenüber. Ebenfalls auf dem Programm: Rudolf Barschais Streichorchester-Bearbeitung von Dmitri Schostakowitschs Achtem Streichquartett – ein von Selbstzitaten und dem Komponisten-Monogramm D-Es-c-h (Dmitri Schostakowitsch) durchzogenes Werk, das die staatlicher Gewalt ausgelieferte Existenz des Künstlers in tragischer Tonlage thematisiert: Entstanden ist das Werk nach Schostakowitschs erzwungenem Eintritt in die KPdSU, den der Komponist als seine größte moralische Niederlage empfunden hatte.
Dmitri Schostakowitsch (1906 – 1975)
Kammersymphonie c-Moll op. 110a
Barschai-Fassung des 8. Streichquartetts (1960)
Sofia Gubaidulina (*1931)
Der Zorn Gottes
für Orchester (2019)
Deutsche Erstaufführung
Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)
Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92 (1811/12)
Eine Veranstaltung der Berliner Festspiele / Musikfest Berlin