Konzert
Jonathan Nott, Leitung
Mazzoli / Eötvös / Ives
Nicht „The Celestial Railroad“, aber immerhin eine Eisenbahn fast im Himmel: die Georgetown Loop Railroad in den Rocky Mountains, ca. 1885 © Louis Charles McClure
Missy Mazzoli dehnt einen winzigen Moment der Orpheus-Sage zu einer Suite, Peter Eötvös’ Hommage an seinen Freund, den romani-ungarisch-französischen Pianisten Györgi (Georges) Cziffra erzählt eine dramatische europäische Biografie als Rhapsodie, deren Aufführung beim Musikfest Berlin nun ihrerseits zu einer Erinnerung an den so plötzlich verstorbenen großen ungarischen Komponisten und Dirigenten geworden ist. Sinfonischen Maximalismus hingegen spielen die Berliner Philharmoniker mit einem Hauptwerk von Charles Ives: Seine Vierte Sinfonie von 1925 collagiert ein Jahrhundert kollektiver amerikanischer Erinnerung zu einem Stück Musikavantgarde.
Peter Eötvös erinnert sich: Georges Cziffra studierte mit Peter Eötvös’ Mutter an der Budapester Musikakademie, „und so hatte ich schon als Kind die Gelegenheit, ihn selbst kennen zu lernen.“ Nach einem erfolglosen Fluchtversuch in den frühen 1950er Jahren wurde der ungarische Klaviervirtuose zur Zwangsarbeit verurteilt – erst 1956 konnte er Ungarn Richtung Paris verlassen, um von dort aus seine Weltkarriere zu starten. Anlässlich seines 100. Geburtstags komponierte Peter Eötvös das Klavierkonzert „Cziffra Psodia“, eine rhapsodische Musik, in der sich Cziffras dramatisches Leben in Klang spiegelt: Der metallische Rhythmus im ersten Satz erinnert beispielsweise „an die Arbeit im Steinbruch während seiner Gefangenschaft. Den späteren meditativen Zustand der Momente seines Rückzugs aus der Öffentlichkeit, komponierte ich in drei ruhigen Kadenzen.“ Im Konzert der von Jonathan Nott dirigierten Berliner Philharmoniker übernimmt Pianist Pierre-Laurent Aimard den Solopart, dem 2017 der Ernst von Siemens Musikpreis verliehen wurde. Den Auftakt macht aber Musik von Missy Mazzoli: Die New Yorker Komponistin schafft es, dem uralten Stoff der Orpheus-Sage – schon Thema der ersten Oper der Musikgeschichte, Monteverdis „Orfeo“ – neue inhaltliche und musikalische Facetten abzugewinnen, in dem sie den Moment des Verlusts, der Einsamkeit, nicht die Suche in den Fokus nimmt. Nach der Pause steht mit Charles Ives’ Vierter Sinfonie ein philosophisches Werk auf dem Programm, in der Lowell Masons geistliches Lied „Watchman, tell us of the night“ mit seiner „drängenden Frage nach dem Was und Warum“ (Ives) und Nathanael Hawthornes Erzählung „The Celestial Railroad“ den Ausgangspunkt bilden. Die Musik besteht aus in sich changierenden Klanggruppen, die sich auf unterschiedlichen dynamisch-räumlichen Ebenen bewegen, wobei sich das Ganze aus der für Ives typischen Mischung aus religiösen Hymnen, Volksliedern und patriotischen Gesängen zusammensetzt.
Missy Mazzoli (*1980)
Orpheus undone (2020)
Suite für Orchester
In memoriam
Peter Eötvös (1944 – 2024)
Cziffra Psodia (2020)
für Klavier und Orchester
Deutsche Erstaufführung
Charles Ives (1874 – 1954)
Sinfonie Nr. 4 (1910 – 1925)
Pierre-Laurent Aimard – Klavier
Ernst Senff Chor
Steffen Schubert – Einstudierung
Berliner Philharmoniker
Jonathan Nott – Leitung
Eine Veranstaltung der Stiftung Berliner Philharmoniker in Kooperation mit Berliner Festspiele / Musikfest Berlin