Szenische Lesung | Stückemarkt
„Burmistrz – Der Bürgermeister“
von Małgorzata Sikorska-Miszczuk (*1964, Warschau)
Aus dem Polnischen von Benjamin Voelkel
Małgorzata Sikorska-Miszczuk © Katarzyna Kozlowska
Seinerzeit flüsterte ein polnischer Ministerpräsident auf einer Wahlveranstaltung: „Immer, wenn ich dieses Wort in der Öffentlichkeit ausspreche, verliere ich zwei Prozent meiner Wähler.“ Und dieser Ministerpräsident hieß nicht etwa Kaczyński, sondern Miller – und die Wahlen gewann er, weil er seine Zunge im Zaum hielt. Welches fatale Wort meinte er? „Jedwabne“. Es ist der Name des Städtchens, in dem es 1941 unter deutscher Besatzung zu einem von Polen verübten Massaker an den jüdischen Mitbewohnern kam. Der Großteil der Opfer wurde bei lebendigem Leib in einer Scheune verbrannt. Die Enthüllung dieses Ereignisses löste nicht nur einen Schock in der polnischen Öffentlichkeit aus, sondern auch etwas, was man milde ausgedrückt als „Polarisierung der Gesellschaft“ beschreiben kann.
Es bedeutete ganz einfach das Ende der Unschuld. Ohne dass wir unseren ehrenvollen Platz im Club der Opfer verloren hätten, waren wir doch zugleich zu Tätern geworden. Małgorzata Sikorska-Miszczuk läuft in ihrer Arbeit mit verzweifelter Ungezwungenheit und jeder Menge Fehltritten durch ein Minenfeld historischer Hysterie. Leicht kann man dabei in die Luft gehen, sich verbrennen. Was für eine wunderbare Katastrophe. Das Stück ist alles andere als eine historischen Reportage oder eine faktentreue Bearbeitung für mehrere Protagonisten. Es spielt eindeutig post factum. Ich muss wohl nicht hinzufügen, dass das Wort „Jedwabne“ kein einziges Mal vorkommt. Willkommen in der Phantasmagorie.
Jan Klata (Aus dem Polnischen von Benjamin Voelkel)
Małgorzata Sikorska-Miszczuk, 1964 in Warschau geboren, studierte Politik und Journalismus in Warschau sowie Drehbuch an der Hochschule für Film, Fernsehen und Theater in Łódź. Sie debütierte 2004 mit ihrem Stück „Psychoterapia dla psów i kobiet“ (Psychotherapie für Hunde und Frauen) am Teatr Rozmaitości in Warschau; es folgten u.a. „Katarzyna Medycejska“ (Katharina von Medici), „Walizka“ (Der Koffer) und „Madonna“. Ihre Arbeiten wurden u.a. in Polen, Schweden, Deutschland, Österreich und den USA aufgeführt und gelesen. „Śmierć Człowieka-Wiewiórki“ (Der Tod des Eichhörnchenmenschen) in der Regie von Marcin Liber wurde u.a. 2008 bei der Theaterbiennale Neue Stücke aus Europa in Wiesbaden, auf Kampnagel in Hamburg und im Hebbel am Ufer, Berlin, gezeigt. 2009 erhielt sie für „Szajba“ (Lockere Schrauben) in der Regie von Jan Klata den Journalistenpreis sowie den zweiten Preis des polnischen R@port Festivals in Gdynia. „Das Ende der Welt“, eine Auftragsarbeit des Theaters Magdeburg, wurde 2010 im Rahmen des Festivals „OstOstOst – 20 Jahre Westen“ uraufgeführt. Im Oktober 2010 kam „Bruno Schulz: Mesjasz“ (Bruno Schulz: Der Messias) am Schauspielhaus Wien zur Uraufführung. Małgorzata Sikorska-Miszczuk war Stipendiatin der US CEC ArtsLink Foundation in den USA und des Adam-Mickiewicz-Instituts. Viele ihrer Arbeiten wurden im Theatermagazin „Dialog“ veröffentlicht und ins Deutsche, Englische, Französische und Rumänische übersetzt. Die Autorin lebt in Warschau.
Szenische Einrichtung Nina Gühlstorff
Dramaturgie Daniel Richter
Ausstattung Nora Johanna Gromer
Es lesen Niels Bormann, Jonas Hien, Bernd Moss, Tilo Nest und Jenny Schily
Mit freundlicher Unterstützung der Polnischen Botschaft in Berlin