Theater | 10er Auswahl

Die lächerliche Finsternis

von Wolfram Lotz

Burgtheater, Wien

Uraufführung 6. September 2014

Die lächerliche Finsternis © Reinhard Maximilian Werner

Die lächerliche Finsternis. Stefanie Reinsperger, Catrin Striebeck, Frida-Lovisa Hamann, Dorothee Hartinger © Reinhard Maximilian Werner

Publikumsgespräch am 14. Mai im Anschluss an die Vorstellung
Haus der Berliner Festspiele, Bar

„Das Theater ist der Ort, wo Wirklichkeit und Fiktion aufeinandertreffen, und es ist also der Ort, wo beides seine Fassung verliert in einer heiligen Kollision“, schreibt der Autor Wolfram Lotz in seiner „Rede zum unmöglichen Theater“. In „Die lächerliche Finsternis“ benutzt er Joseph Conrads Erzählung „Herz der Finsternis“ und Francis Ford Coppolas Kriegsfilm „Apocalypse Now“ um anhand einer motivischen Weiterschreibung auf Kollisionskurs mit den Problemen der Gegenwart zu gehen. Dušan David Pařizek hat als Regisseur der Uraufführung in Wien den Crash nicht zu vermeiden versucht, sondern nochmal kräftig Gas gegeben. Als Resultat fliegen den Besuchern nicht nur Wirklichkeitspartikel um die Ohren, sondern werden auch die Bretter, die die Welt bedeuten, zu Sägespänen verarbeitet – in „20 Minuten Pause, wenn Sie wollen“, wie das Insert lautet. Kaum jemand will. Denn als Pausenprogramm packen vier famose Schauspielerinnen kräftig zu und zerhäckseln Teile des Bühnenbodens. Gegen den ohrenbetäubenden Maschinenlärm singen sie a capella „The Lion Sleeps Tonight“.

Was an diesem Abend abgeht, ist erstaunlich. Konventionen werden ignoriert. Es regiert die Kraft der Behauptung. Alle Männerrollen werden von einem weiblichen Quartett gespielt, das die Stärke des Damenensembles des Burgtheaters unter Beweis stellt. Stefanie Reinsperger hält als diplomierter Pirat aus Somalia in breitem Wienerisch eine flammende Verteidigungsrede und betört später als aufreizender sprechender Papagei. Catrin Striebeck verkörpert mit falschem Schnauzbart und betonter Lässigkeit einen Hauptfeldwebel der Bundeswehr, Frida-Lovisa Hamann seinen knabenhaft-unsicheren Unteroffizier. Er steuert ihr Patrouillenboot, mitten hinein „in die Regenwälder Afghanistans“. Dort wartet schon Dorothee Hartinger – als italienischer Blauhelm, den die fehlende Internetverbindung mehr verzweifelt als der herrschende Krieg, als scheinheiliger Reverend, dessen Missionsstation an üble Kolonialvergangenheit erinnert, und schließlich als Suchobjekt, ein deutscher Soldat, der liquidiert werden soll, weil er gegen die herrschende Kriegslogik seine eigene bezwingende Friedensrechnung aufgemacht hat.

In dieser „lächerlichen Finsternis“ blitzt vieles auf von dem, was uns als verantwortungsvolle „Erste-Welt-Bürger“ beunruhigt, vom Coltan-Abbau bis zur Überfischung der Weltmeere, vom Krieg auf dem Balkan bis zum Umgang mit dem Islam. Gegen den Wahnsinn der Wirklichkeit setzt diese Aufführung die Anarchie des Theaters. „Das unmögliche Theater ist die ewige Forderung“, meint Lotz. Pařizek hat diese Forderung mit großer Lust so ernst wie möglich genommen.

www.burgtheater.at

Regie und Bühne Dušan David Pařízek
Kostüme Kamila Polívková
Licht Felix Dreyer
Dramaturgie Klaus Missbach

Mit
Frida-Lovisa Hamann
Dorothee Hartinger
Stefanie Reinsperger
Catrin Striebeck