Inszenierung / 3sat-Aufzeichnung | 10er Auswahl

Maria Stuart

von Friedrich Schiller

Deutsches Theater Berlin

Premiere 30. Oktober 2020

Videotrailer © Deutsches Theater Berlin

Friedrich Schillers Duell der Königinnen wird bei Anne Lenk zu einem fantastisch gespielten Porträt zweier Frauen, die auf unterschiedliche Weise gefangen sind.

Künstler*innen-Ehrung und Nachgespräch
am 15. Mai 2021 um 22:20 Uhr

Maria Stuart, Königin von Schottland, befindet sich in Gefangenschaft in England. Solange sie lebt, muss die englische Königin Elisabeth um ihre Macht bangen. Doch Elisabeth zögert, die Hinrichtung der Konkurrentin und Anverwandten zu beschließen, die selbst im Kerker starke Unterstützer*innen an ihrer Seite weiß. Umgeben von männlichen Karrieristen fechten die beiden Frauen ein Duell aus, aus dem keine oder beide als Siegerin hervorgehen. Die Regisseurin Anne Lenk, bereits 2020 mit Molières „Der Menschenfeind“ zum Theatertreffen eingeladen, findet abermals einen zeitgemäßen Zugriff auf einen großen, kanonischen Stoff. Sie nimmt Schillers Text ernst und entdeckt in ihm zugleich überraschend viel Witz. In Judith Oswalds Bühnenbild, das eine konsequente Antwort auf die Widrigkeiten dieser Pandemie-Spielzeit bietet, laufen die Schauspieler*innen des Deutschen Theater Berlin zu Hochform auf.

Theatertreffen-Juror Georg Kasch zur Inszenierung
Was könnten diese beiden Frauen gemeinsam erreichen? Vermutlich alles. Und das in einer Welt männlicher Karrieristen, die nur darauf warten, dass die anderen Typen – oder aber die Königinnen – einen groben Fehler machen. Was also, wenn Elisabeth von England und Maria Stuart ihre Solidarität entdecken würden?

Dieser Gedanke steckt schon in Friedrich Schillers Drama. Dort drängt die gefangene Maria auf eine Begegnung mit ihrer Rivalin: „Elisabeth ist meines Stammes, meines / Geschlechts und Ranges – Ihr allein, der Schwester, / Der Königin, der Frau kann ich mich öffnen.“ Anne Lenk nimmt diese Spur in ihrer Inszenierung am Deutschen Theater Berlin auf und zeigt zwei starke Charaktere in einem Gewusel aus rückgratlosen Mansplainern.

Für diesen Verschwesterungsversuch hat Judith Oswald einen coronakompatiblen Setzkasten aus hell gerandeten Vereinzelungskammern gestaltet. In den magentafarbenen Zellen tigern lauter Gefangene ihrer Leidenschaften und Aufgaben hin und her. Nur zwei Mal begegnen sich Figuren leibhaftig, beide Male geht’s schief: Maria und Elisabeth trennen sich unter Beschimpfungen, von Mortimer wird Maria fast vergewaltigt. Es ist, als trennten die Wände die Menschen nicht nur, sondern schützten sie auch voreinander.

Wie verschieden die beiden Königinnen sind, umreißt Sibylle Wallum mit ihren Kostümen, Hybriden zwischen Renaissance und Heute: Maria strahlt mädchenhaft und kokett, Elisabeth atmet mit Kurzhaarfrisur, Korsett und Stiftrock die Strenge einer Politikerin. Julia Windischbauers Elisabeth ringt entsprechend mit verhuscht-nerdiger Machtkrampfigkeit um Haltung, eine Frau in beständigem Argwohn und in Dauerabwehr, deren Selbstbewusstsein erst allmählich Fuß fasst. Franziska Machensʼ Maria wiederum strotzt vor Brillanz, Verführungskraft und durchaus auch feministischem Bewusstsein, wenn sie ihre Peiniger, die gockelnd ihre Macht demonstrieren (und sie hemmungslos überschätzen), wortgewaltig auflaufen lässt.

Voll rotziger Ironie – so witzig sieht man das selten – ringt sie auch in der Begegnung mit Elisabeth ums letzte Wort. Natürlich geht das schief bei diesem Albtraumpaar, das sich in entscheidenden Momenten hinter Pokerface und Maske versteckt, statt gemeinsame Sache zu machen. Kein Wunder, dass die Männer-Witzfiguren zu lange ihre Ränke schmieden können. Wie Elisabeth sie am Ende dennoch scheitern lässt (und sich dabei emotional verzockt), gehört zu den großen Momenten dieses an schauspielerischen Feinheiten reichen Abends.

Künstlerisches Team

Anne LenkRegie
Judith OswaldBühne
Sibylle WallumKostüme
Camill JammalMusik
Cornelia GlothLicht
David HeiligersDramaturgie

Julia WindischbauerElisabeth, Königin von England
Franziska MachensMaria Stuart, Königin von Schottland
Enno TrebsBaron von Burleigh
Alexander KhuonGraf von Leicester
Jörg PoseGraf von Shrewsbury
Paul GrillAmias Paulet, Hüter der Maria
Caner SunarGraf Aubespine, französischer Gesandter / Wilhelm Davison, Staatssekretär
Jeremy MockridgeMortimer, Paulets Neffe / Melvil, Freund Marias aus früheren Tagen