Als einen „Kampf um die Zukunft“ beschrieb der Theaterkritiker Tobi Müller – ehemaliges Jurymitglied des Berliner Theatertreffens – 2023 die Lage des deutschsprachigen Theaters. Die Selbstlegitimation der künstlerischen Form habe das Theater in einen Wettbewerb mit anderen medialen Formen gesellschaftlicher Verständigung gebracht. Im hieraus resultierenden Ringen um seine öffentliche Stimme gerate das Theater der Gegenwart selbst in einen Streit um Aufmerksamkeit, der immer schriller würde, um gesellschaftlich hörbar zu bleiben.
Aus dieser Haltung der Selbstverteidigung schert das Theatertreffen mit seiner Ausgabe des Jahres 2023 erneut wohltuend aus. Aus zwei Gründen: Zum einen zeigt auch die diesjährige Ausgabe herausragende Inszenierungen, die sich der Entwicklung einer zukünftigen Sprache und Haltung des Theaters in allen denkbaren Spielarten stellen. Statt einer Imitation (populärer) digitaler Medialität entwickelt das Theater äußerst selbstbewusst seine eigenen Erzählweisen und Erfahrungsräume weiter: Das von Publikum hymnisch gefeierte „Ophelia’s Got Talent“, die monumentale Alternative zu Streamingdiensten „Das Vermächtnis (The Inheritance)“ oder das immersive Sounddesign für „Die Eingeborenen von Maria Blut“ bilden glänzende Beispiele für die Entwicklung neuer Formen.
Zum anderen wagt es das Theatertreffen, sich selbst immer wieder zum Gegenstand einer Versuchsanordnung auf die eigene Zukunftsfähigkeit zu machen. Ob in der Thematisierung von Gendergerechtigkeit durch Quote und Diskurs, in der souveränen Verlegung des eigenen Ortes in die digitale Sphäre oder in den Begegnungen in Berlin beim Diskursprogramm TT Kontext, Stückemarkt und der Kooperation mit „Burning Issues“: Das Theatertreffen traute sich immer wieder mit Erfolg seine eigene Neuerfindung zu und inspiriert dabei seine Partner.
Gegenwärtig sind es vor allem transnationale Kontexte, die die politischen und künstlerischen Fragen des Theatertreffens 2023 prägen. Die „10er-Auswahl“ des Theatertreffens verhandelt oftmals eine krisenhafte Wirklichkeit, die nicht erst seit dem aktuellen Krieg in Europa nur kollektiv und vielstimmig beschrieben werden kann. Das neue Leitungsteam schafft für diese Wirklichkeitsbeschreibung das neue Format 10 Treffen, das die 10er-Auswahl rahmt. Einmal mehr reagiert das Theatertreffen so auf herausfordernde Umstände mit der einladenden Geste einer Neuerfindung seines eigenen Bezugsrahmens. In den 10 Treffen kommen europäische Künstler*innen zu Wort, die in Berlin, Deutschland und seinen Theatern eine intellektuelle Heimat finden können. In Kunst und Debatten nimmt sich das Theatertreffen einer Auseinandersetzung an, die Michel Foucault einst als ein „Mittel zur Zukunft“ beschrieben hat.
Die Kulturstiftung des Bundes wünscht allen Künstler*innen und allen Beteiligten vor, auf und hinter der Bühne sowie dem Publikum ein spannendes Theatertreffen 2023 und dankt den Berliner Festspielen unter Leitung von Matthias Pees, der Jury und dem gesamten Team des Festivals unter Leitung von Olena Apchel, Carolin Hochleichter und Joanna Nuckowska für die Durchführung dieser 60. Ausgabe des Theatertreffens.
Katarzyna Wielga-Skolimowska
Vorstand / Künstlerische Direktorin
Kirsten Haß
Vorstand / Verwaltungsdirektorin