10 bemerkenswerte Inszenierungen
Tragikomödie von Anton Tschechow
Deutsch von Ulrike Zemme
Mit „DAD MEN TALKING: Gesprächsreihe mit wechselnden Gästen & Carl Hegemann“ sowie einem Monolog von Katja Brunner
Münchner Kammerspiele
Premiere: 3. Juni 2023
Die Vaterlosen © Münchner Kammerspiele
Lassen sich die Veränderungen der Moderne ignorieren? In Anton Tschechows „Die Vaterlosen“, präzise und humorvoll inszeniert von Jette Steckel, tanzt eine Gesellschaft auf dem Grabstein ihres früheren Glanzes.
Auf dem Landgut von Anna Petrowna findet eine Party statt. Gefeiert wird, als gäbe es keinen gesellschaftlichen Niedergang, keinen Verlust von Status, Geld und Ansehen. Mit dabei: Dorfschullehrer Platonow, der in gleich drei Frauen starke Gefühle weckt und mehr als eine Katastrophe auslöst. Regisseurin Jette Steckel und ihr spielfreudiges Ensemble, allen voran Wiebke Puls, Katharina Bach und Joachim Meyerhoff, bringen in ihrer Interpretation von Anton Tschechows Frühwerk aus dem Jahr 1880 virtuos eine Gesellschaft auf die Bühne, die versucht, die Augen vor ihrem eigenen Abstieg zu verschließen. Dabei werden verschiedenste Formate und Themen einbezogen, unter anderem durch ein Talkshow-Format von und mit dem ehemaligen Chefdramaturgen der Berliner Volksbühne Carl Hegemann und wechselnden Gästen, in dem sich Angehörige der Generation 70+ wortreich über ihre Sicht auf die Welt austauschen.
Am Anfang fehlt die vierte Wand. Das Kammerspiele-Ensemble rund um Wiebke Puls’ verarmte Generalswitwe Anna Petrowna plaudert leger ins Publikum, hievt Bierkästen über die Rampe, bringt sich in Partylaune. Doch der Rausch bleibt aus, da können „Die Vaterlosen“ noch so sehr nach ihm suchen. Jette Steckel inszeniert Anton Tschechows erstes Theaterstück, das er noch als Gymnasiast in der russischen Provinz schrieb, während sein bankrotter Vater vor Gläubigern nach Moskau geflüchtet war, als zeitgenössischen Tanz auf dem Vulkan. Reihenweise verfallen hier starke Frauen Joachim Meyerhoffs toxischem Volksschullehrer Platonow, werfen sich ihm untergangssüchtig an den Hals und machen ihn trotzig zu ihrer „Utopie“. Wenigstens eine verklagt ihn erfolgreich in einem Texteinschub von Katja Brunner – prompt stilisiert er sich zum Opfer. Und dann sind da noch die „DAD MEN TALKING“, ältere Herren (und Damen), die Dramaturg Carl Hegemann in Talkshow-Einschüben zur Generationserfahrung der Vaterlosigkeit befragt, bevor Platonow sie zur Schnecke macht. Ein Schauspielfest der kollektiven Verdrängungen und Projektionen!
ZumVideostatement von Juror Martin Thomas Pesl über „Die Vaterlosen“
Digitales Programmheft auf der Webseitevon „Die Vaterlosen“
Jette Steckel – Regie
Florian Lösche – Bühne
Pauline Hüners – Kostüme
Matthias Jakisic – Live-Musik (Komposition)
Anna Bauer – Musik (Komposition)
Jens Baßfeld, Jake Witlen – Video
Emilia Heinrich, Tobias Schuster – Dramaturgie
Maximilian Kraußmüller – Licht
Wiebke Puls – Anna Petrowna Wojnizewa, junge Generalswitwe
Bernardo Arias Porras – Sergej Pawlowitsch Wojnizew, ihr Stiefsohn
Katharina Bach – Sofja Jegorowna, seine Frau
Edmund Telgenkämper – Porfirij Semjonowitsch Glagoljew, Gutsbesitzer
Abel Haffner – Kirill Porfirjewitsch Glagoljew, sein Sohn
Anna Gesa-Raija Lappe – Marja Jefimowna Grekowa
Walter Hess – Iwan Iwanowitsch Trilezkij, Oberst im Ruhestand
Martin Weigel – Nikolaj Iwanowitsch Trilezki, sein Sohn, Arzt
Joachim Meyerhoff – Michail Wassiljewitsch Platonow, Dorfschullehrer
Edith Saldanha – Alexandra Iwanowna (Sascha), seine Frau
Thomas Schmauser – Ossip, Pferdedieb
Carl Hegemann – Carl
Aufführungsrechte: Rowohlt Theater Verlag, Hamburg (Übersetzung von Ulrike Zemme); S. Fischer THEATER & MEDIEN, Frankfurt am Main (Monolog von Katja Brunner)