Inszenierung | 10 bemerkenswerte Inszenierungen
von Roland Schimmelpfennig
Deutsches SchauSpielHaus Hamburg
Uraufführung: 29. September 2023
Laios © Deutsches SchauSpielHaus Hamburg
Welche Schuld geben die Vorfahren an die Nachfahren weiter? Karin Beier und Roland Schimmelpfennig stellen Ödipus’ Vater Laios ins Zentrum ihrer scharfsinnigen Mythen-Neudichtung, die grandios von Lina Beckmann interpretiert wird.
Theben ist eine Stadt der Gewaltexzesse, als der aus dem Exil zurückgeholte Laios den Thron besteigt. Die Erwartungen der Bürger*innen sind immens. Doch warum bleiben der neue König und seine Frau Iokaste kinderlos? Hat der junge Chrysippos damit zu tun, der Laios nach Theben begleitete, oder ist ein Orakelspruch der Seherin Pythia der Grund? Dann taucht die Sphinx auf, ein geheimnisvolles Tier-Wesen, das Schrecken und Chaos sät.
König Laios, der Vater des Ödipus, kommt in der griechischen Mythologie nur am Rande vor. Autor Roland Schimmelpfennig und Regisseurin Karin Beier stellen ihn im zweiten Teil ihrer fünfteiligen Serie „ANTHROPOLIS“ ins Rampenlicht mit einem frei erdichteten Monolog, der sich auf die erhaltenen antiken Quellen stützt. Erzählt, verkörpert, gespielt, interpretiert wird die vielstimmige Textfläche, in der von Laios über den politischen Rat von Theben bis hin zu Pythia alle zu Wort kommen, von einer fulminanten Lina Beckmann, die sämtliche Rollen übernimmt und in jeder einzelnen in vollem Umfang überzeugt.
Nach Pentheus – und vor Ödipus – ist Laios der rechtmäßige Thronfolger in Theben. Roland Schimmelpfennig erfindet im zweiten Teil der fünfteiligen „ANTHROPOLIS“-Serie für die antike Nebenfigur eine eigene Biografie. Dabei nimmt er sich Raum für Mythen und Möglichkeiten genauso wie für Dönerbuden und knatternde Motorroller. Denn die Überlieferungen der alten Griechen, all die „kranke Scheiße“, das sind schließlich nur Mutmaßungen. Hier sind Götter im Spiel, genauso wie fliegende Katzen und verbannte Königssöhne, manche mit durchbohrten Füßen. Diesen multiperspektivischen Monolog voller Versionen, Variationen und Vielleichts setzt Karin Beier mit wenigen Mitteln in Szene und eine überragende Lina Beckmann in dessen Zentrum. Mit einer irrlichternden Sicherheit füllt Beckmann die schwarzen Bühnenweiten. Mit grandioser Geistesgegenwart, körperlicher Geschmeidigkeit und überwältigender Spiellust beschwört sie eine große ferne Welt und bleibt dabei stets in Kontakt mit dem Publikum. Von der Unbeschwertheit eines Teenagers über die Abgründe eines Butoh-Tänzers, das Kalkül eines Politikers bis hin zum unheilvollen Husten einer Seherin fasziniert Beckmann in wechselnden Rollen. Doch ihre Hauptrolle ist die des hoch konzentrierten, mitreißenden Erzählens.
ZumVideostatement von Jurorin Katrin Ullmann über „Laios“
Programmheft (PDF, 1,8 MB)
Karin Beier – Regie
Johannes Schütz – Bühne
Wicke Naujoks – Kostüme
Jörg Gollasch – Musik
Annette ter Meulen – Licht
Voxi Bärenklau – Video
Sybille Meier – Dramaturgie
Anna Wörl – Mitarbeit Bühne
Teresa Heiß – Mitarbeit Kostüme
Lina Beckmann
Im Film
Lina Beckmann – Laios
Goya Brunnert – Chrysippos
Josefine Israel – Eurydike
Ernst Stötzner – Kreon
Julia Wieninger – Iokaste
Michael Wittenborn – Teiresias