10 bemerkenswerte Inszenierungen
Ein europäisches Abendmahl von Werner Schwab
in einer Fassung von Rieke Süßkow und Klaus Missbach
Staatstheater Nürnberg
Premiere: 6. Oktober 2023
ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM © Staatsschauspiel Nürnberg
Worin genau besteht Zivilisiertheit? Rieke Süßkow und ihr Ensemble überlassen sich in Werner Schwabs „ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM“ der Sprache und finden dafür eine passgenaue szenische Form.
In einer Kneipe philosophieren sechs Stammgäste, sogenannte „gescheiterte Existenzen“, und eine Wirtin über das Leben, über Verantwortung und Glück. Aggression liegt in der Luft, ein Bier nach dem anderen geht über den Tresen. Während Schweindi, Hasi, Karli, Herta, Jürgen, Fotzi und die Wirtin schon nicht zimperlich miteinander umgehen, eskaliert die Situation, als ein sogenanntes „Schönes Paar“ dazukommt.
Der österreichische Autor Werner Schwab wurde in den 1990er-Jahren mit seinen „Fäkaliendramen“ bekannt, Sprachkunstwerken mit Versatzstücken aus Politik, Werbung und Bürokratie. Regisseurin Rieke Süßkow und ihr hochenergetisches Ensemble nutzen in „ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM“ virtuos eine explizite Künstlichkeit, um Mechanismen des Alltags zu entlarven und Schwabs drastische Sprache wirken zu lassen.
Gegen den Strich hat Regisseurin Rieke Süßkow Werner Schwabs 1991 erschienenes „Fäkaliendrama“ nicht gebürstet, im Gegenteil: Sie hat es genau gelesen und in seiner pubertär kichernden Obszönität mit beglückender Perfektion umgesetzt. Die Gastwirtschaft, in der eine Gruppe armseliger und gewalttätiger Stammgäste ein schönes Paar an Neuankömmlingen beneidet (und aufisst), ist in einem ekelhaft schmatzenden, schlürfenden Mund angesiedelt. Die Figuren, die sich halb aufgeblasene Sexpuppen angezogen haben, sind Zielscheiben einer Jahrmarktschießbude oder eines Spielautomaten. Sie bewegen sich mechanisch, wobei jede einzelne ihrer Bewegungen von einem Geräusch unterlegt wird. Erst durch den Gewaltakt an den schönen Reichen können sie sich befreien. Süßkow wendet ein strenges Konzept an, dessen Umsetzung im Detail dennoch immer wieder überrascht. Man sieht sich also nicht satt und nimmt für einzelne Charaktere Partei – obwohl die einzige Figur, für die Schwab sich interessiert, die Sprache selbst ist.
ZumVideostatement von Juror Martin Thomas Pesl über „ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM“
Programmheft (PDF, 2,9 MB)
Rieke Süßkow – Regie
Mirjam Stängl – Bühne
Sabrina Bosshard – Kostüme
Klaus Missbach – Dramaturgie
Philipp C. Mayer – Musik
Paul Grilj – Licht
Yannick Meier – Trampolintrainer
Julia Bartolome – Karli, später Herta
Soheil Boroumand – Schweindi, später Jürgen
Joshua Kliefert – Fotzi, später ER
Katharina Kurschat – SIE, später Schweindi
Matthias Luckey – Herta, später Karli
Pola Jane O’Mara – Wirtin, später Fotzi
Elina Schkolnik – Jürgen, später Wirtin
Sascha Tuxhorn – ER, später Hasi
Sasha Weis – Hasi, später SIE
Das Schauspiel des Staatstheaters Nürnberg dankt dem Förderverein Schauspiel Nürnberg für die Unterstützung.
Aufführungsrechte: S. Fischer Theater- und Medien Verlag GmbH, Frankfurt am Main