Grußwort

Kulturstiftung des Bundes

„Warum machen wir das? Die Antwort haben wir rausgestrichen“, sagt Fabian Hinrichs in „Kill your Darlings! Streets of Berladelphia“, mit dem René Pollesch 2012 zum zweiten Mal zum Berliner Theatertreffen eingeladen war. Die Worte wurden zum Bonmot. Bezog sich der Ausruf im Stückkontext zunächst auf die selbstbezügliche Produktionslogik des Kapitalismus, so war von Pollesch und Hinrichs auch immer schon die absurde Schönheit und der potenziell grausame Selbstbetrug der Theatersituation gemeint. Das Berliner Theatertreffen feiert und reflektiert diese Schönheit in all ihrer Ambivalenz.

Der Jury des Theatertreffens 2024 ist es hierfür erneut gelungen, die Vielstimmigkeit der deutschsprachigen Theaterlandschaft in ihrer Auswahl zu berücksichtigen: Sie hat das Große und das Kleine, die abstrakten Fragen der Gegenwart und die persönlichen Antworten respektvoll nebeneinander bestehen lassen und hat somit ein im besten Sinne zeitgeistiges Programm zusammengestellt.

Versteht man das Theatertreffen als ein Stück gegenwärtige Zeitgeschichte, das uns Jahr für Jahr etwas über die kollektiv verhandelten Fragen der vergangenen zwölf Monate zu berichten weiß, so fällt auf, dass die multiplen Konflikte und Krisen der globalen Politik nunmehr in den Familien- und Lebensgeschichten der Theaterstoffe angekommen sind. Von abstrakten politisch-philosophischen Räumen zoomen verschiedene Arbeiten heran an die persönlichen Erfahrungskontexte ihrer Figuren. Die Weitergabe des Unausgesprochen und Traumatischen scheint dabei oftmals das zu sein, was die Generationen dieser Familiengeschichten verbindet. Ein Gefühl von stillgestellter Zeit in endlosen Wiederholungsschleifen ist zu spüren. In den neuen dramatischen Stoffen von „The Silence“, „Extra Life“ oder „Bucket List“ ist dies der theatrale Verhandlungsgegenstand der Stunde. Doch auch in den klassischen Stoffen wie „Nathan der Weise“ und „Die Vaterlosen“ wird die transgenerationale Weitergabe unaufgelöster Schuld fokussiert. Gleichzeitig erzählen die Inszenierungen aber auch von der Würde und Schönheit des individuellen Lebens und der Potenzialität des Neuanfangs.

Das Theatertreffen spiegelt diese persönlichen Geschichten der 10er-Auswahl: Jede Inszenierung hat eine*n Impulsgeber*in. Diese Person, oftmals von einer theaterfremden Profession kommend, stellt dem Publikum ihre Eindrücke der Inszenierung im sogenannten Nachtgespräch zur Verfügung.

Wir wünschen den Besucher*innen des Theatertreffens spannende Seherfahrungen und einen intensiven Austausch. Nora Hertlein-Hull gratulieren wir zu dieser ersten Ausgabe unter ihrer Leitung. Dem Intendanten der Berliner Festspiele Matthias Pees sowie dem gesamtem Team und der diesjährigen Jury danken wir sehr herzlich. Allen Beteiligten auf und hinter der Bühne übersenden wir unser toi toi toi. 
„Alles macht man für jemand anderen. Für jemanden, den man liebt zum Beispiel“, schrieb Pollesch. Wir werden ihn und seine Liebesarbeit vermissen.

Katarzyna Wielga-Skolimowska – Vorstand / Künstlerische Direktorin
Kirsten HaßVorstand / Verwaltungsdirektorin