Die Tochter der Regisseurin Katie Mitchell stellte ihrer Mutter vor einigen Jahren eine scheinbar einfache Aufgabe: Sie solle keine Theaterabende mehr entwickeln, die mit der Selbsttötung von Frauen enden. Mitchells Inszenierung von „Bernada Albas Haus“ eröffnet das Theatertreffen 2025. Für die Neufassung des Klassikers durch Alice Birch trifft Mitchell doch die künstlerische Entscheidung: Die Frauenfiguren sollen zum Ende der Inszenierung beschließen, zu sterben. In der Vorstellung der Regisseurin gibt es für Menschen derzeit keine Möglichkeit, sich selbst und ihre Zukunft jenseits einer Spirale zunehmender Gewalt zu imaginieren.
„Wie sind wir eigentlich in diese Lage geraten?“, das könnte die implizite Leitfrage eines Teils dieses Theatertreffens sein. Sei es die Familiengeschichte „Blutbuch“ in der Inszenierung von Jan Friedrich und „Unser Deutschlandmärchen“ von Hakan Savaş Mican, die Geschichte des Theaters und seiner Stoffe in „Kontakthof – Echoes of ’78“ von Meryl Tankard oder „Die Gewehre der Frau Carrar / Würgendes Blei“ von Luise Voigt: Die Inszenierungen suchen nach der eigenen Verortung und Verantwortung in einer wenig selbstbestimmten Gegenwart. René Polleschs „ja nichts ist ok“ befindet gar, dass wir vermutlich 560 Millionen Jahre zurückgehen müssten, um an eine gewaltfreie Vergangenheit anzuknüpfen, die die Gliederfüßer damals lebten. „Wie kann dieser Friedensprozess wiederbelebt werden?“ fragt Fabian Hinrichs mit weit aufgerissenen Augen sein Publikum.
Andere Inszenierungen richten den Blick in die Zukunft und damit auf die Möglichkeiten der Koexistenz von Mensch und Maschine in einer zu entwerfenden Theaterästhetik des Digitalen. „Die Maschine oder: Über allen Gipfeln ist Ruh“ von Anita Vulescia untersucht die Sprache dieses Theaters im Werden, „[EOL]. End of Life“ in der Regie von Victoria Halper und Kai Krösche gar die gesamte theatrale Verabredung von Bühnenraum, der körperlichen Präsenz von Schauspieler*innen und Publikum. Ersan Mondtags „Double Serpent“ entlehnt seinen Titel einem frühen Computerspiel. Medien und Zeitlichkeiten begegnen sich in diesem Theater, das dem Mitchells in seiner Diagnose der Gewalterfahrungen unseres intimen wie unseres politischen Zusammenlebens verwandt ist. Auch für Florentina Holzinger und ihr Ensemble steht in „SANCTA“ die Aggression gegen den selbstbestimmten (weiblichen) Körper im Zentrum der Arbeit – jedoch wird hier der Ausgang eines anarchisch-freudvollen schwesterlichen Fests gewählt, das die Operngeschichte selbstbewusst ausdeutet und Schreckenserfahrungen sublimiert.
Neben der Auswahl der bemerkenswertesten Inszenierungen gibt das diesjährige Theatertreffen einen weiteren Anlass zur Vorfreude: Sehr herzlich gratulieren wir dem Internationalen Forum des Theatertreffens zu seinem 60-jährigen Bestehen, das mit einem öffentlichen Programm gefeiert wird. Ganz im Sinne einer kollaborativen und transgenerationalen Theaterlandschaft werden ehemalige Stipendiat*innen aus aller Welt in Berlin zusammenkommen, um jungen Theaterschaffenden von ihren beruflichen Lebensgeschichten zu berichten und sie zu ermutigen, das Theater als Ort internationaler Solidarität und Co-Kreation zu verstehen. Das Internationale Forum steht als Format für ein Berlin, das in den vergangenen 60 Jahren von den unterschiedlichen Wissensformen und ästhetischen Visionen seiner Gäste profitieren durfte.
Wir wünschen den Besucher*innen des Theatertreffens spannende Erfahrungen. Der Leiterin des Theatertreffens Nora Hertlein-Hull und der diesjährigen Jury, dem Leiter der Berliner Festspiele Matthias Pees sowie deren gesamtem Team danken wir sehr herzlich. Allen Beteiligten auf und hinter der Bühne übersenden wir unser toi toi toi.
Katarzyna Wielga-Skolimowska – Vorstand / Künstlerische Direktorin
Kirsten Haß – Vorstand / Verwaltungsdirektorin