Konzert

silent green 3

Laura Bowler // Global Breath 2

Die Künstlerin steht auf einem Stein in einer offenen Landschaft, ihr bunter Mantel weht im Wind, sie lacht.

Laura Bowler © Robin Clewley

Die von The Arts Desk als „a triple threat composer-performer provocatrice“ beschriebene Laura Bowler eröffnet diesen Abend mit drei Werken für Gesang, Elektronik und Video, die bei drei Komponistinnen in Auftrag gegeben wurden: Nwando Ebizie, Sivan Cohen Elias und Diana Soh. Anschließend erklingen Kompositionen von Milica Djordjević, Dai Fujikura, Liza Lim, Georg Friedrich Haas und Edivaldo Ernesto – im Rahmen des von Marco Blaauw initiierten Forschungsprojekts Global Breath.

Ein Gespräch zwischen Laura Bowler und Juliet Fraser finden Sie in der Mediathekder Berliner Festspiele


Laura Bowler: Three

„Three“ umfasst drei jeweils 20-minütige Werke für Gesang, Elektronik und Video, die bei drei sehr unterschiedlichen Komponistinnen in Auftrag gegeben wurden: Nwando Ebizie, Sivan Cohen Elias und Diana Soh. Die Arbeiten, die die Semantik der Bühneninszenierung des weiblichen Körpers untersuchen, werden von der Komponistin und Sängerin Laura Bowler aufgeführt. Jede der Komponistinnen hat einen sehr unterschiedlichen Ansatz gewählt: Die Bandbreite reicht von französischen Kindergeschichten über autobiografische Rituale bis hin zur Fragmentierung des Selbst und der Schaffung von Avataren.

Sivan Cohen Elias: Who-He-Huh

„Who-He-Huh“ affirmiert die unserer Gegenwart innenwohnende Verwirrung, die dafür sorgt, dass unsere Identitäten in Fragmente von Realitäten zerlegt werden. Die Sängerin spielt eine Social-Media-Persönlichkeit. Sie gibt ein Tutorial darüber, „wie man dem eigenen Avatar Gefühle beibringt“. Parallel dazu erschafft sie eine DIY-Figur, die sich auf einem Tisch zu bewegen beginnt. Das Stück wurde als Abfolge von zusammenhängenden Miniaturen konzipiert, die theatrale Elemente visuell und akustisch mithilfe von Fixed Media, Live-Elektronik und Video kombinieren.
– Sivan Cohen Elias

Nwando Ebizie: Dahlia (and you will be there forever and ever)

Eine rituelle Erfahrung für eine Performerin. Eine Praxis: sich auf die Erfahrung der Freude einzulassen. Eine lebendige Erinnerung an eine Hochzeit, einen Antrag, einen Tanz und ein Kleid. Eine Rückeroberung des Schönen. Eine Verkündung des neuerlichen Frühlings und des Willens zum Wachstum.
– Nwando Ebizie

Diana Soh: La Ville-Zizi

„La Ville-Zizi“ ist ein virtuoses und rasantes Non-Stop-Gesangsstück, bei dem auch der Körper der Darstellerin gefordert ist und ihre Bewegungen bereits in der Partitur verankert sind. Bei dem zugrundeliegenden Text handelt es sich um die Übersetzung und Adaption eines feministischen Theaterstücks der französischen Schauspielerin und Autorin Marion Aubert mit dem Titel „Les Orpheline“ (2009). Das Stück beginnt mit einem Vorwort. Darin heißt es, dass es Länder auf der Welt gebe, in denen Mädchen nach der Geburt getötet werden. Diese Aussage hat bei mir einen starken Eindruck hinterlassen und mich dazu veranlasst, mich noch intensiver mit Marion Auberts Werk auseinanderzusetzen. In ihrer „absurden“ Fiktion macht sich die Figur Monsieur im Laufe der Geschichte auf den Weg, um das Verschwinden der Mädchen aufzuklären. Mit gepackten Koffern geht er auf Reise, wird aber sofort von einer Bande junger Mädchen gefangen genommen und eingesperrt. Die Anführerin Violaine ist eines der verschwundenen Kinder. Sie lebt in einer imaginären Welt und versammelt alle Mädchen um sich, denen das Recht auf Leben verweigert wird. Für die Dauer von 30 Tagen und Nächten lernt Monsieur den harten Alltag von Violaine und ihren imaginären Freund*innen kennen, darunter eine Teufelin (La Diablonne) und ein Teufel (Le Diablon). Das Stück enthält zahlreiche Nacherzählungen von Kurzgeschichten, etwa die Geschichte von La ville de Zizi (die Stadt Zizi – bemerkenswert ist, dass „zizi“ ein französischer Kinderausdruck für Penis und „zézette“ der Slangausdruck für Vulva ist). Erzählerin der Geschichte ist La Diablonne – die Persona und Bühnenrolle, die Laura Bowler (Sopran) in dieser Arbeit namens „La Ville-Zizi“ annehmen wird.
– Diana Soh

Mit

Laura BowlerSolistin
Diana SohElektronik
Nwando EbizieLive-Video
Sam RedwayProduzent, Dramaturg, Movement Director, Video für die Arbeit von Nwando Ebizie

 


Global Breath 2

Milica Djordjević: Monochrome, light blue darkness

Das Stück ist wie ein monochromes, immersives Gemälde oder eine Skulptur, die die Zuhörenden einlädt, darin einzutauchen. Es handelt sich um eine umfassende Studie über kristallisierte Töne als einen Bereich, der nach außen hin scheinbar statisch bleibt und seine Reflexionen von metallisch zu matt verändert, während er im Inneren kinetisch ist und ständig in einem hellblauen Schatten der Dunkelheit schimmert.
– Milica Djordjević

Dai Fujikura: Shimmer

In der Musik geht es um Kommunikation. Und der wichtigste Teil des Komponierens ist für mich die Zusammenarbeit. In diesem Fall mit dem Trompeter Marco Blaauw. […] Wir kennen uns bereits seit 2005 und ich habe ihn viele Stücke spielen hören, doch erst in der Pandemie begannen wir zusammenzuarbeiten. Marco wollte eine Reihe meiner Solowerke spielen, die nicht für Trompete geschrieben wurden darunter ein Solostück für Bassflöte und ein Solowerk für Horn. Ich habe auch ein Stück für Shō und Elektronik geschrieben, die Shō ist eine traditionelle japanische Mundorgel. Dieses Stück hat Marco dann auf der Trompete mit Elektronik gespielt. Mir liegt es am Herzen, Musik zu schreiben, bei der der Solist das Gefühl hat, dass die Musik das Beste aus ihm herausholen kann. Als ich anfing, das Trompetenkonzert zu schreiben, war ich mit Marcos Spiel meiner eigenen Musik sehr gut vertraut. Ich schickte Marco Fragmente meiner Musik, er nahm sie auf und schickte sie mir zurück. Daraufhin hörte ich mir seine Aufnahmen an und das inspirierte mich, den nächsten Teil zu schreiben und so weiter. Eine Schlüsselfrage war dabei, wie man die Trompete sinnlich klingen lässt, ohne den Eindruck einer Fanfare oder irgendeines kraftvollen Blechbläserklangs zu erwecken. Denn ich bin ein großer Fan von Blechbläsern, mag aber den typischen Blechbläserklang in der klassischen Musik nicht. […]
– Dai Fujikura

Liza Lim: Intervention

 

Liza Lim: Shallow Grave 

Ein Bild geht mir nicht mehr aus dem Kopf: Im März 2022, 12 Tage nach Beginn des Krieges in der Ukraine, steht eine Militärblaskapelle um einen Bombenkrater herum und spielt in das klaffende Loch hinein. Dieses Bild hallt in unserer Zeit der extremen und oft unverständlichen Gewalt nach. Ich habe viel über die Kraft der Musik nachgedacht, die es ermöglicht, aus etwas, das vollkommen zerstört wurde, neue Lebensenergie hervorzuholen. Die Kraft der Musik, mit den Toten zu sprechen, in der Zeit zurückzugehen, Übergänge für die Lebenden zu schaffen, Musik als ein lebendiger Knoten in der Zeit zwischen den Ahnen und den Ungeborenen – das sind grundlegende Themen meiner neuen Komposition. „Shallow Grave“ besteht aus zwei Teilen: Im ersten Teil spielt Marco Blaauw ein „neolithisches“ Tonhorn, eine Nachbildung eines 3.000 Jahre alten Terrakotta-Horns, das in einer Felshöhle in Vallabrix, Südfrankreich, ausgegraben und vom Keramikkünstler André Schlauch im Rahmen des European Music Archaeology Project nachgebaut wurde. Es hat die Form eines Tierhorns, aber ich stelle es mir als einen Erdklumpen mit einem Mund vor. Der zweite Teil des Stücks ist für die tiefe Alt-Trompete in F geschrieben. Es ist eine Musik, geprägt von bitterem Humor und Sarkasmus, für ein imaginäres Kasperletheater, bei dem die Lebenden die Toten heimsuchen.
– Liza Lim

Georg Friedrich Haas: I can’t breathe 

„I can’t breathe“ wurde 2014 konzipiert und geschrieben – als Reaktion auf die Hinrichtung des afroamerikanischen Bürgers Eric Garner durch die Polizei mitten auf der Straße in New York City. Garners „Verbrechen“ war der Verkauf von „Loosies“, einzelnen Zigaretten aus einer Schachtel. Dabei handelte es sich theoretisch um eine Form der Steuerhinterziehung, die aber nach dem Gesetz nicht als Kapitalverbrechen gilt. Ein Umstehender filmte jedoch einen Polizeibeamten, der Garner mit einem unzulässigen Würgegriff am Körper festhielt. Auf dem Video ist zu hören, wie Garner elfmal die Worte „I can’t breathe“ [„Ich kann nicht atmen“] wiederholt, bevor er ohnmächtig wird und sieben Minuten lang am Boden liegt. Während die Beamten auf einen Krankenwagen warteten, verstarb Garner; bei der Autopsie wurde als Todesursache „[Quetschung] des Halses, Quetschung des Brustkorbs sowie Bauchlage während körperlicher Fixierung durch die Polizei“ festgestellt. Trotz landesweiter Proteste wurde nie Anklage gegen die beteiligten Beamten erhoben, obwohl einer von ihnen schließlich 2019 aus dem Dienst entlassen wurde.
– George E. Lewis

„I can’t breathe“ für Trompete solo, in memoriam Eric Garner beginnt – ziemlich traditionell – mit einem Trauergesang: eine freie Kantilene im zwölftönigen Raum. Dann verengen sich die Intervalle. Der Gesang wird immer mehr erstickt, zuletzt in einer Sechzehnteltonskala. Dieser sich verengende Trauergesang steht in einem Klangraum weiter Trompetentöne extremer Register und wechselnder Farben – vielleicht vorsichtige Symbole für jene Welt, aus der das Opfer gewaltsam gerissen wurde. Den Tätern gebe ich keine Töne. Die Aufführung erfordert zahlreich rasche Dämpferwechsel und langsame Veränderungen der Dämpfer. Dafür ist Marco Blaauws Doppeltrompete bestens geeignet.
– Georg Friedrich Haas

Mit

The Monochrome Project
Marco Blaauw, Christine Chapman, Mathilde Conley, Rike Huy, Bob Koertshuis, Nathan Plante, Markus Schwind, Laura Vukobratović – Trompete

Marco Blaauw Alt-Trompete, Doppelschalltrichter-Trompete, „neolithisches“ Tonhorn, Trompete

Laura VukobratovićDoppelschalltrichter-Trompete

Edivaldo Ernesto – Tanz

Liza LimSprecherin

Programm

Laura Bowler: Three

Sivan Cohen Elias
Who-He-Huh
Multimediales Solostück für eine Sängerin und Live-Elektronik (2024)
Kompositionsauftrag von Ralph Vaughan Williams Trust, Hinrichsen Foundation, Diaphonique und Arts Council of England
Uraufführung

Nwando Ebizie
Dahlia (and you will be there forever and ever)
Multimediales Solostück für eine Sängerin und Elektronik (2024)
Kompositionsauftrag von Ralph Vaughan Williams Trust, Hinrichsen Foundation, Diaphonique und Arts Council of England
Uraufführung

Diana Soh
La Ville-Zizi
für Solostimme und Elektronik (2025)
Kompositionsauftrag von Ralph Vaughan Williams Trust, Hinrichsen Foundation, Diaphonique und Arts Council of England
Uraufführung

Global Breath 2

Milica Djordjević
Monochrome, light blue darkness
für acht Blechbläser (2024)
Kompositionsauftrag von WDR und New Music Dublin

Edivaldo Ernesto
Intervention

Dai Fujikura
Shimmer
für zwei Doppelschalltrichter-Trompeten (2025)
Kompositionsauftrag von Marco Blaauw, gefördert durch den Musikfonds e.V. und die Kunststiftung NRW

Liza Lim
Intervention

Liza Lim
Shallow Grave
für „neolithisches“ Tonhorn und Alt-Trompete
(2023)
Kompositionsauftrag von Marco Blaauw, gefördert durch den Musikfonds e.V. und die Kunststiftung NRW

Georg Friedrich Haas
I can’t breathe
für Trompete solo (2014)
in memoriam Eric Garner
Kompositionsauftrag des Ensemble Musikfabrik, gefördert durch das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen

„Three“ von Laura Bowler wurde durch den Ralph Vaughan Williams Trust, die Hinrichsen Foundation, Diaphonique und den Arts Council of England in Auftrag gegeben. Unterstützt von Britten Pears Arts.

Global Breath wird unterstützt durch die Ernst von Siemens Musikstiftung, Musikfonds Neustart Kultur und die Kunststiftung NRW.