Konzert | Berliner Orchester
In seinen letzten Lebensjahren definierte Luigi Nono das Musiktheater noch einmal neu: Mit Prometeo ist dem Komponisten ein Schlüsselwerk gelungen, dessen Einflüsse bei heutigen Komponisten noch immer zu spüren sind, in Bereichen des experimentellen Musiktheaters, in der Konzertmusik, in der Klanginstallation, in der musikalischen Raumcollage und in der Klangkunst. In Prometeo wird das Dramatische genuin und ausschließlich durch die Musik erzeugt. »Tragedia dell’ascolto«, Tragödie des Hörens, Hörtragödie, nannte Nono seine Komposition, Hörtheater, das einen ungeheuren Sog entwickelt, bei dem das Hören der Klänge, die Hörerfahrung, zum eigentlich Dramatischen wird und den gebannten Hörer auf eine faszinierende akustische Erkundungsreise mitnimmt.
In seinen letzten Jahren hat der stets politisch engagierte Komponist alte Gewissheiten in Frage gestellt, alte Denkkategorien gesprengt, herkömmliche Gattungsbeschränkungen des Dramatischen und Konzertanten, des Wortes und des Tons, des Vokalen und Instrumentalen aufgelöst. Ausgehend vom antiken Prometheus-Mythos ist Prometeo eine philosophisch-künstlerische Reflexion über den Menschen, über Utopien, Scheitern und Hoffnung. Textpassagen aus Werken des Aischylos, von Friedrich Hölderlin, Walter Benjamin, Friedrich Nietzsche und Rainer Maria Rilke stecken den inhaltlichen Rahmen ab, werden aber nicht im traditionellen Sinne vertont. Teils sind in Prometeo die gesungenen Texte real oder elektronisch verfremdet, mitunter bestimmen sie nur noch als Spuren oder stillschweigend die Ausrichtung der Musik. Parameter des Raums und der Klangfarbe erhalten gegenüber den traditionellen Konstanten Tonhöhe und Rhythmus enorme Bedeutung. Überhaupt erreicht der Klang in Prometeo durch die Verbindung verschiedener kammermusikalischer Instrumentalgruppen, Live-Elektronik und durch im Raum verteilte Vokalisten ungeahnte Dimensionen.
Wolfgang Rihm, in Luigi Nonos letzten Lebensjahren eng mit ihm befreundet, der selbst mit wichtigen Werken Operngeschichte geschrieben hat, betrachtet Prometeo als Meilenstein in der Entwicklung des Musiktheaters: »Diese Perspektiven rühren an eine Art ›Geburt‹ des Theaters ›aus dem Geist der Musik‹«, schrieb er kurz nach der Uraufführung von Prometeo. An dem Ort, wo Prometeo 1988 in Anwesenheit Luigi Nonos zur Berliner Erstaufführung kam, im Kammermusiksaal der Philharmonie, wird das Werk auch 2011 beim musikfest berlin zu erleben sein.
Luigi Nono [1924–1990]
Prometeo – Tragedia dell’ ascolto
nach Texten u.a. von Aischylos, Walter Benjamin und Friedrich Hölderlin
zusammengestellt von Massimo Cacciari
für 5 Vokalsolisten, 2 Sprecher, Chor, Solostreicher, Solobläser, Gläser, 4 Orchestergruppen, Live-Elektronik und 2 Dirigenten [1981–84, 1985]
Cyndia Sieden – Sopran
Silke Evers – Sopran
Susanne Otto – Alt
Noa Frenkel – Alt
Hubert Mayer – Tenor
Caroline Chaniolleau – Sprecherin
Mathias Jung – Sprecher
Instrumentalsolisten des Ensemble Modern
Schola Heidelberg
Walter Nußbaum Einstudierung
Live-Elektronische Realisation: Experimentalstudio des SWR
André Richard – Leitung Klangregie / Künstlerische Koordination
Michael Acker, Reinhold Braig, Joachim Haas – Klangregie
Matilda Hofman – Dirigentin (II)
Arturo Tamayo – Dirigent (I)
Eine Produktion des musikfest berlin | Berliner Festspiele in Zusammenarbeit mit dem Konzerthausorchester Berlin, der Stiftung Berliner Philharmoniker und den Salzburger Festspielen.
Gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds